#communityprojekt100 - 100 ikonische Streetfotos #51

Als ich das erste Mal von Franks „communityprojekt100 - 100 ikonische Streetfotos“ hörte, dachte ich, obwohl ich bei dem Thema Streetfotografie aus meiner Komfortzone kommen muss, da machst du mit, diese coole Idee von Frank musst du unterstützen!

Nun warte ich seit über 50 Wochen angespannt auf mein Streetprojekt-Foto.

Als der Postbote klingelte nahm meine Tochter das Buch entgegen und durfte es öffnen, da ich noch am Arbeiten war. Als sie jedoch von unten rief: “Zu deinem Foto fällt dir aber sicher etwas ein!“, klinkte ich mich sofort aus meiner Skypesession aus und polterte die Treppe hinunter.

Vor mir lag das Bild „Running for the school bus“ von James Ravilious, welches er im November 1982 in Nord Devon, England, aufgenommen hatte. Er wurde als Fotograf des ländlichen Lebens bekannt und fertigte in 17 Jahren rund 80.000 SW-Bilder für das Beaford Archiv an, das den Lebensstil des Gebiets von Nord Devon zeigen soll.

Das SW-Bild in Hochformat, aufgenommen oben von einem Kirchturm, zeigt in der unteren Hälfte einen Friedhof, darüber verläuft eine Straße in dessen Mitte ein Junge läuft. Den Rest des Bildes nehmen ländliche Häuser ein. Auf Grund des Bildtitels und dass die Grabsteine lange Schatten werfen, gehe ich davon aus, dass das Foto morgens gemacht wurde.

Als ich das Bild sah, waren meine erste Gedanken:

  • viel Friedhof -Tod-
  • eine kleine Person -Leben-
  • Dorf -ländliche Umgebung-

Und ja, meine Tochter hatte Recht, ich hatte sofort eine Idee, wie ich das Bild umsetzen musste! Für mich trat in diesem Augenblick alles in den Hintergrund, ich war wie gebannt von meiner Idee, mit meinem Foto eine Geschichte erzählen zu wollen. Ich wollte genau das wiedergeben, was James Ravilious mit seinem Bild auch aussagen wollte. Ich möchte aber auch, dass das entstandene Foto und die Geschichte dazu den Menschen Mut machen soll sich zu öffnen, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen und nicht wie ein Tabuthema zu behandeln.

yes Unseren Newsletter bekommst Du hier: yes

Ich selbst lebe eng verbunden in einem abgeschiedenen sehr ruhigen 300 Seelennest nördlich von Hannover. Bei uns gibt es noch das typische Dorfleben mit Kühen, Gänsen, Hühnern und Pferden auf den umliegenden Wiesen, den Klönschnack vor der Tür und man sieht auch des Öfteren seinen Nachbarn morgens im Schlafanzug im Garten die erste Wäsche aufhängen oder Blumen gießen.

Wir haben einen eigenen Friedhof, der oberhalb des Dorfes idyllisch auf einem Hügel liegt. Von hier kann man einen Blick über einen Teil der Bauernhäuser haben.      

Die Grundidee meines Fotos kam deswegen so spontan aus der Situation heraus, da gerade eine Woche zuvor eine junge Familie aus unserem Dorf ihren totgeborenen Sohn nach 24 Schwangerschaftswochen zu Grabe tragen musste. Die Natur war grausam gewesen und hatte bei dem Kind einige lebenswichtige Organe nicht angelegt …….. und die jungen Eltern mussten kurzfristig eine schwere Entscheidung treffen – mit allen Folgen. Da die Eltern nicht schweigend trauernd und verloren in „der Ecke sitzen“, sondern nach außen gehen und über ihr Schicksal reden wollten, habe ich mich getraut sie anzusprechen, ob sie mir bei der Umsetzung meiner mir gestellten Aufgabe mit ihrer Geschichte zur Verfügung stehen würden. Berührt haben sie zugesagt – für sie ein weiterer Schritt, dass das Thema nicht totgeschwiegen wird. Schließlich endet jede dritte Schwangerschaft in Deutschland mit einem Abort, einer Fehlgeburt, einer Totgeburt, oder, wie in diesem Falle, einem nicht lebensfähigen Kind, was erst bei der Feindiagnostik festgestellt wird …..  - und kaum einer redet darüber …

bildschirmfoto_2021-06-29_um_07.58.44.png

Die Familie selbst hatte jedoch Wünsche an mich und ihr Bild: es sollte die ganze Familie auf dem Bild (auch ihr 6-jähriges Kind) sein, zwischen Vater und Sohn sollte eine kleine Lücke – der den Platz des fehlenden Kindes symbolisieren sollte - sein und sie wollten nach oben schauen, nach oben zu ihrem Sternenkind. Somit wurde auch die Umsetzung meines Bildes schlüssig: ein Gang vorbei an Gräbern, der subtile Kontrast zwischen Leben und Tod, die Babyschuhe mit einem Stern im Vordergrund sollen ausdrücken, dass das hier und jetzt wichtig ist und nicht in Vergessenheit gerät, die Farbe des Bildes soll das positive Leben unterstützen und letztendlich die etwas erhöhte Perspektive zeigt: wir sind auf einer Durchreise, wir leben jetzt – genauso drückt es James Ravilious in seinem Text für sein Bild aus! Das zeigt den natürlichen Umgang mit dem Fluss des Lebens und wir sollten alle öfter mal nach oben schauen …

Die Schwierigkeiten das Bild zu kreieren waren die örtlichen Gegebenheiten: extreme Hitze (>30 Grad die ganze Woche über in der das Bild entstehen musste), nur wenige Gräber auf unserem Friedhof, etliche hohe Tujas und heckenumrandete Gräber, die keine Sicht zuließen, keine Möglichkeit das Foto aus der Vogelperspektive zu machen, des Weiteren wollte ich keine Grabsteininnenschriften auf meinem Bild.

p6151807.jpg

Nicht unerwähnt möchte ich die immerwährende Reflektion zu dem Ursprungsbild „Running for the school bus“ und meinem Foto mit seiner Geschichte und den damit verbundenen Emotionen lassen ….